Zum Inhalt springen

Die Anfänge der Hovawart-Zucht

Die neue Zuchtgeschichte des Hovawarts
(Festrede von Dr. Jens Kerl anlässlich der Jubiläumsfeier "100 Jahre Hovawart-Zucht" am 12. Juni 2022 in Fulda)

Nachdem wir 1983 unseren ersten Hovawart bekamen, war ich von Anfang an fasziniert von den Zuchtbüchern, die über den Zuchtverein erhältlich waren. Im Laufe der Jahre sammelten wir immer mehr Zuchtbücher und bekamen schließlich auch ältere Ausgaben und konnten nachsehen, welche Hunde in den Generationen vor unserem Hovawart lebten. Das Interesse an den früheren Generationen wurde auch durch Beiträge zur Zuchtgeschichte des Hovawarts bestärkt, die wir in unserer stetig wachsenden Hovawart-Bücherei lesen konnten, aber z.T. auch in den Zuchtbüchern. Als meine Frau Susanne im Jahr 1996 begann, Hovawart-Rassemonographien zu schreiben, durfte darin ein Kapitel zur Zuchtgeschichte nicht fehlen. Meine Aufmerksamkeit wurde so mehr und mehr auf die Ursprünge der Hovawart-Zucht gelenkt. Anfang 2019 erhielt ich ein Exemplar des ersten mit Schreibmaschine geschriebenen Hovawart-Zuchtbuchs, das anhand der vorliegenden Wurfmeldungen und Einzelmeldungen erstmals in der Nachkriegszeit zusammengestellt wurde und den Zeitraum 1922-1950 umfasst (Abb. 1). Darin waren auch sämtliche Hunde genannt, die die Hovawart-Zucht begründeten - beginnend mit einem Rüden Geburtsjahr 1915 - Moor Barniske!

Viele der zuvor gelesenen Details der Zuchtgeschichte ließen sich nun anhand der vorliegenden Daten nachvollziehen. Aber ich stieß auch auf Widersprüche und z.T. unklare Aussagen. Die bis Anfang 2020 in der Zuchtgeschichte nachlesbaren Aussagen über Kuvascz, Leonberger, Schäferhunde und Neufundländer unter den Gründertieren der Hovawart-Zucht, erschlossen sich nicht aus den Eintragungen. Interpretationen der Zuchtbucheinträge wie "Es wurde zunächst ein Kuvaczwurf eingetragen, dann ein Leonbergerwurf" wurden in mehreren Rassemonographien übereinstimmend geschrieben, ohne dass die Autoren jemals erklärt haben, wie sie zu diesen Erkenntnissen gekommen sind. Immer wieder wurden Grafiken abgebildet mit dem Verlauf der prozentualen genetischen Anteile von Kuvascz, Leonberger, Neufundländer, Deutschem Schäferhund, Typhund und afrikanischem Wildhund in der Hovawart-Population im Zeitraum 1927-1982 (Abb. 2).

Mit Beginn der Corona-Pandemie und dem Wegfall der Hundeveranstaltungen ab März 2020 fing ich an, mich intensiver mit den Gründertieren der Hovawart-Zucht zu beschäftigen. Da waren z.T. Namen zu lesen, die üblicherweise in der kontrollierten Rassehunde-Zucht verwendet werden, wie z.B. Ortrud Husdan, Arko v. Schwaben, Asta v. Mondkuhlenweg, Wolf v. Spiegelberg, Alfa v. Bodenstein, usw. Ich nahm mir also vor, so viele dieser Gründertiere wie möglich zunächst mal zu identifizieren. Es musste doch darüber in zeitgenössischen Zuchtbüchern der Leonberger, Kuvascz, Neufundländer oder Schäferhunde Aufzeichnungen geben.

Gleichzeitig war es unumgänglich, sich mit der Person zu beschäftigen, die stets in der Hovawart-Literatur in Zusammenhang mit der Herauszüchtung der Rasse genannt wurde: Kurt F. König. Wer war diese Person? Wie hat er auf die Zucht des Hovawarts Einfluss genommen? Welche Vereinsgeschichten sind mit ihm in diesem Kontext verknüpft?

Kurt F. König kam als Verwundeter des Ersten Weltkriegs nach Thale, wo das große und zentral gelegene Hotel Zehnpfund zum Lazarett umgebaut worden war (Abb. 3). Er blieb nach Kriegsende 1918 in Thale und wurde Hüttenarbeiter, war also beim größten Arbeitgeber des Orts beschäftigt - bei den Eisenhüttenwerken Thale. 1920 heiratete König und seine Frau Minna König brachte am 3. März 1924 die Tochter Cilgia zur Welt. König wurde durch die Hochzeit wohnhaft im Geburtshaus seiner Frau in der Straße Freiheit 5 in Thale.

Die Geschichte Kurt F. Königs und die des heutigen Hovawarts beginnt am 16.12.1920 mit der Gründung einer Ortsgruppe (OG) des Vereins für Deutsche Schäferhunde (SV) in Thale, einer idyllischen Kleinstadt (damals ca. 13.000 Einwohner) am nordöstlichen Harz-Rand. Zu den 18 Gründungsmitgliedern dieser SV-OG Thale gehörte auch Kurt F. König, der 1920 im Schäferhundverein schon einige Zeit als Zucht- und Dressurwart tätig gewesen war. Diese Funktion verschaffte ihm einen hervorragenden Überblick über das Wesen von Deutschen Schäferhunden in der Region Thale. Er kannte die Züchter, aus deren Zwingern die vierbeinigen Dressur- und Prüfungskandidaten kamen.

Ende 1921 wurde vom Verein für Deutsche Schäferhunde (SV) der Beschluss gefasst, ab 1922 die Zuchtzulassung von Schäferhunden von einer Anlagenprüfung (Körung) abhängig zu machen. Auf einmal war König der gefragte Fachmann für die Zuchtzulassungsprüfungen in der OG Thale des SV, der auch immer wieder entsprechende Fortbildungsvorträge bei den Mitgliederversammlungen hielt und sich selbst auch stetig bei entsprechenden Veranstaltungen des SV fortbildete. Im SV gab es damals die zwei großen Gruppen von Hütehunden und Schutzhunden. Nach erfolgreichen entsprechenden Arbeitsprüfungen bekamen die Hütehunde das Ausbildungskennzeichen "HGH" (Herdengebrauchshund) und die Schutzhunde das Ausbildungskennzeichen "SchH" (Schutzhund). Die im Rahmen der Körung erfolgte genaue Beobachtung des hundlichen Spontanverhaltens in standardisierten Testsituationen ermöglichte die Beurteilung, welche potentiellen Zuchtkandidaten erwünschtes Verhalten zeigten und welche nicht. Und für König waren es die Schutzhund-Eigenschaften, die ihn an den Schäferhunden besonders interessierten und nicht die Hütehund-Eigenschaften.

Diese sah König vor allen Dingen in einem Hundetyp, der "Hovawart" genannt wurde. Was ein Hovawart eigentlich ist und wie er aussehen sollte, das war zur damaligen Zeit gerade unter Schäferhund-Leuten leicht zu vermitteln. In dem berühmten Buch "Der Deutsche Schäferhund in Wort und Bild" von Rittmeister Max von Stephanitz, das in Erstauflage 1901 und in sechster Auflage 1921 erschienen war, wurde der Hovawart als Vorfahre des Deutschen Schäferhundes ausführlich auf mehreren Seiten dargestellt und gewürdigt.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte Kurt F. König sich mit der Rekonstruktion des Hovawarts beschäftigt. Zur Herauszüchtung dieses Hundetyps hatte es bis 1914 verschiedene Kreuzungsversuche gegeben. 1972 schrieb König dazu: „Ich hatte es nach dem Ersten Weltkrieg nicht leicht, die Rekonstruktion der Hovawarte wieder aufzunehmen, nachdem uns der Krieg die schon 1910 erreichten guten Hovawart-Anwärter genommen hatte." Und weiter: "Nach dem Verlust aller dieser Hunde durch den ersten Weltkrieg suchte ich im Harz und im Bayerischen Walde nach solchen Hunden, mit denen ich die begonnene Hovawart-Zucht wieder aufnehmen konnte."

Das ab 1922 etablierte und auch allen SV-Züchtern bekannt gemachte Verfahren der Anlagenprüfung konnte sich König zunutze machen, um die Hovawart-Rekonstruktion wieder aufzunehmen.

Denn der Schlüssel zur Rekonstruktion des alten Hundeschlags in Richtung Rasse lag für König in der Anlagenprüfung. König wollte nun die Gruppe in diese Richtung talentierter Schäferhunde ausgliedern und in einem eigenen Verein züchterisch führen. Das Zuchtziel war ein Hund, der sich im Alltag als „überlegsamer Hund“ zeigt, sich ohne Abrichtung (!) als Wachhund und Schützer seiner Bezugspersonen zu eignet, keine ausgeprägte Wildpassion zu besitzt und verträglich mit Haustieren ist - der Hovawart! Mit diesem Versprechen, einen solchen Hundeschlag durch Anlagenprüfung und Selektion herauszüchten zu können, hat König bald mehrere Mitstreiter gefunden, die ihm zur Seite standen.

Bei der Mitgliederversammlung der OG Thale des SV am 08.01.1924 hielt König ein entsprechendes Plädoyer für die Gründung eines neuen Schutzhunde-Vereins in Thale und beantragte dessen Gründung. Der Antrag wurde jedoch nach mehreren Debatten mehrheitlich abgelehnt. Den neuen Verein "Hovawart. Verein für Deutsche Schutzhunde. Sitz Thale a. Harz" (HVS) hat König dann trotzdem gegründet. Der Verein wurde mit 13 Mitgliedern gegründet und am 23.08.1924 unter Nr. 209 in das Vereinsregister in Thale eingetragen. Und im März 1924 fanden bereits die ersten Anlagenprüfungen für die zukünftigen Hovawarte statt. Unter den ersten Prüflingen am 07.03.1924: Helma und Herma König! In Abb. 4 sind die entsprechenden Einträge von Curt König zu lesen: "Helma und Herma zur Eintragung in das HZ empfohlen." (HZ = Hovawart Zuchtbuch) (Abb.4 [Quelle: Hovawart-Verein für Deutsche Schutzhunde Thale e.V.]). Die planmäßige Zucht des Hovawarts im ersten Hovawart-Zuchtverein hatte begonnen!

Nun zurück zu den Gründertieren der Hovawart-Zucht. Zur Recherche und Identifikation der im ersten Zuchtbuch 1922-1950 genannten Hunde gibt es für Schäferhunde und Neufundländer online-Zuchtdatenbanken. Die Neufundländer-Datenbank enthält umfangreiche Informationen bis zurück in die 1920er Jahre. In der Schäferhunde-Datenbank sind nach Aussage der Geschäftsstelle des Vereins für Deutsche Schäferhunde (SV) nur "die wichtigsten Linien" bis in die 1920er Jahre zurück abrufbar. Alle anderen Daten stehen in den gedruckten Zuchtbüchern. Für Leonberger konnten die entsprechenden Zuchtbücher über Versand-Antiquariate erworben werden. Darüber hinaus konnten Kontakte zum Hovawart Verein für Deutsche Schutzhunde e.V. (HVS) vertieft werden, dem Kopien von Wurf- und Einzelmeldungen der ersten Hovawart-Würfe vorliegen, sowie auch das Original des ersten handschriftlichen Hovawart-Zuchtbuchs. Zur Geschäftsstelle des SV entwickelte sich im Sommer 2020 ein intensiver Austausch. Dort wurden mit großer Hilfsbereitschaft, Akribie und Sorgfalt Namen und Zuchtbuchnummern nach meinen Anfragen recherchiert. Die Auswertung aller dieser Informationen führte schließlich zur Erkenntnis, dass die Zuchtgeschichte des Hovawarts neu geschrieben werden muss.

Der erste im Zuchtbuch 1922-1950 aufgeführte Wurf, der H-Wurf des Züchters König, gilt als der Beginn der Hovawartzucht und begründet mit dem Geburtsjahr 1922 auch unser heutiges feierliches Begehen des 100-jährigen Rassejubiläums (Abb. 5). Dieser wird in der einschlägigen Literatur bisher als Kuvascz-Wurf beschrieben. Der zugehörige Wurf-Meldeschein ist beim HVS in Kopie archiviert. Vater "Baron" und Mutter "Ortrud Husdan" und die vier Nachkommen mit den Zuchtbuchnummern 1-4 sind aufgeführt. Auf dem HVS Wurfmeldeschein sind Züchter, Wurfdatum, Wurfstärke und Geschlechterverhältnis aufgeführt, aber auch die komplette Wurfstärke (5/4) und die Information, 2/3 Hunde bei der Mutter zur Aufzucht verblieben sind, drei Rüden zu einer Amme gegeben wurden, und dass insgesamt vier Rüden verstorben sind (Abb. 4). Schon die handschriftliche Anmerkung beim Rüden Baron "Sogen. Altschlägiger Schäferhund" ließ Zweifel an der Interpretation als Kuvascz-Wurf aufkommen. Mit Einverständnis des HVS sandte ich die Kopie dieses Wurfmeldescheins an die SV-Geschäftsstelle. Und die Antwort enthielt das brisanteste Material der Zuchtgeschichte, das bisher bekannt wurde. Anhand des Geburtsdatums hat die Geschäftsstelle des SV einen vollkommen identischen Wurfeintrag im SV-Zuchtbuch ermittelt. Für das Jahr 1922 wurde ins SV-Zuchtbuch der H-Wurf „Wendhusen“ des Züchters "Curt König - Thale a. Harz" eingetragen (Abb. 6). Wurftag 03.04.1922, Wurfstärke 5/4. U.a. finden sich hier die Hündinnen Helma Wendhusen SZ 156217 (SchH, Farbe sigrdRü - silbergrau dunkler Rücken) und Herma Wendhusen SZ 156218 (SchH, Farbe grb - graubraun).

Darüber hinaus die sensationelle und bis dahin unbekannte Information, dass Kurt F. König registrierter Schäferhund-Züchter war und sich im SV im Jahr 1920 den Zwingernamen "Wendhusen" als Schäferhund-Zuchtstätte eintragen lassen hat (Abb. 7). Und dass es sich bei der Mutter Ortrud Husdan um eine im SV registrierte Schäferhündin handelte (SZ 85337, geb. 20.05.1920) aus der Zucht des Apothekers Carl Stahl aus Thale am Harz, der - wie König - auch Mitglied der OG Thale des SV war (Abb. 8).

Schließlich wurde mit dem Wurfeintrag aus dem SV-Zuchtbuch auch der Vater des ersten Wurfs im Hovawart-Zuchtbuch identifiziert als Schäferhund Baron vom Assebach (SZ 85091). Bei Baron vom Assebach handelt es sich um einen der allerersten Rüden, der nach dem vom SV zum Jahr 1922 erstmals eingeführten Verfahren der Anlagenprüfung in Quedlinburg am 19.02.1922 angekört und somit im ersten SV Körbuch gelistet war. Darüber hinaus war er in Halberstadt in unmittelbarer Nähe zu Thale beheimatet.

Der zweite Wurf im Zuchtbuch 1922-1950 des Züchters Fangmann aus Thale wird in der Literatur bisher als Leonberger-Wurf beschrieben. Die aus dieser Verbindung hervorgegangene Hündin Karin Fangmann ist eines der Gründertiere der Hovawart-Zucht. Auch für diesen Wurf ist im HVS der entsprechende Wurfmeldeschein in Kopie archiviert und wurde mir für die Recherche zur Verfügung gestellt (Abb. 9 [Quelle: Hovawart-Verein für Deutsche Schutzhunde Thale e.V.]). Hier ist alleine aus dem Wurfmeldeschein die Schäferhund-Herkunft ableitbar, denn für die meisten Ahnen inklusive der Eltern sind die Schäferhund-Zuchtbuchnummern mit den Namen angegeben. Beim Vater und Mutter sind bei der Zusammenstellung des Zuchtbuchs außerdem Übertragungsfehler aus den urspünglich sicherlich handschriftlich geführten Dokumenten vorgekommen. Der Vater "Arko v. Schwaben" heißt in Wirklichkeit "Arko von der Schwalm" und die Mutter "Asta v. Mondkuhlenberg" heißt in Wirklichkeit "Asta im Sande". Diese Namensumstellungen haben möglicherweise zur bisher falschen Interpretation als Leonberger-Wurf beigetragen.

Der 13. Eintrag im Zuchtbuch 1922-1950 dokumentiert wieder eine Verpaarung, aus der ein Gründertier der Hovawartzucht hervorging, nämlich Asta Zwies. Auch für diesen Wurf liegt in Kopie der Wurfmeldeschein aus dem Archiv der HVS vor und weist als Vater lediglich den Namen "Rolf" aus und als Mutter Frigga Husdan, die wegen der Schäferhund-Zuchbuchnummer von ihr selbst und dem Hinweis "siehe S.Z." (siehe Schäferhund-Zuchtbuch) anstelle der Ahnen mit Sicherheit als Schäferhündin angesprochen werden kann (Abb. 10 [Quelle: Hovawart-Verein für Deutsche Schutzhunde Thale e.V.]). Bei Rolf steht anstelle der Ahnen noch daneben "genannt: Marok vom Polzeipräsidium Berlin. 66915". Letzteres ist wiederum eine Schäferhund-Zuchtbuchnummer, unter der eben genau jener Marok vom Polizeipräsidium Berlin als Deutscher Schäferhund zu finden ist. Auch dieser Wurf ist parallel dazu im SV-Zuchtbuch geführt als einen identischer Wurfeintrag im SV-Zuchtbuch (Band XX von 1922, Abb. 11). Es handelt sich um den Eintrag des A-Wurfes „vom Bodenstein“ des Schäferhund-Züchters Karl Zwies - Darmstadt vom 18.08.1921.

Als gesichert gelten kann die Einkreuzung eines Neufundländers zu Beginn der Hovawart-Zucht. Bob (Saeger) war ein reinrassiger, schwarzer Neufundländer, dessen Eltern Horst von Holzhausen NZB 1783 und Wanda Warin NZB 1877 im Zuchtbuch des Deutschen Neufundländer Klubs (DNK) registriert sind. Im Wurfmeldeschein steht der Verweis "N.Z." für "Neufundländer-Zuchtbuch" (Abb. 12 [Quelle: Hovawart-Verein für Deutsche Schutzhunde Thale e.V.]). Bob (Saeger) taucht einfach so ohne Zuchtbuchnummer und Farbbezeichnung im Zuchtbuch auf als Vater des A-Wurfes von Alwin Busch vom 12.10.1924. Im Neufundländer-Zuchtbuch findet sich genau eine solche Verpaarung von Horst von Holzhausen und Wanda Warin, registriert als B-Wurf "von Qualitz" mit Geburtsdatum 20.06.1922. Es spricht sehr viel dafür, dass es sich bei dem schwarzen Rüden "Bob von Qualitz" NZB 2106 aus diesem Wurf um genau denselben Hund handelt, der als Bob (Saeger) ins Hovawart-Zuchtbuch eingetragen wurde. Abb. 13 zeigt ein Foto seines Bruders.

Die zahlenmäßig wichtigsten Gründertiere der Hovawart-Zucht bildeten aber die sogenannten "Typhunde", die nicht aus kontrollierter Rassehundezucht stammten, sondern aus der Harzer Umgebung von Thale. Diese Typhunde - ohne Ahnentafeln bzw. ohne bekannte Eltern - wie z.B. Mohr Rogasch, Moor Barniske, oder Dina Brüser, wurden nach bestandener Anlagenprüfung vollkommen gleichberechtigte Zuchthunde wie solche aus kontrollierten Rassehunde-Zuchten.

Im Jahr 1924 nahm also die planmäßige Hovawart-Zucht richtig Fahrt auf. Mit erstmals nach Hovawart-Körschema selektierten Zuchttieren, die im Jahr 1922 geboren wurden, so dass wir aus dieser Berechnung zum jetzigen 100-jährigen Jubiläum des Hovawarts kommen. Der Hovawart-Verein erfährt eine vielversprechende Anfangsblüte und die Weggefährten, die Kurt F. König für seine Idee gefunden hat, entwickeln Eigenengagement. König hat auch andere Mitglieder in Funktionen wie Zuchtwart oder Körrichter eingewiesen, wie die Unterschriften von Michael Vondram, Artur Becker oder Alwin Busch auf den erhaltenen Einzel- und Wurfmeldescheinen belegen.

Nach einem 4-jährigen Auslandsaufenthalt in Österreich kehrt König 1930 wieder in den Harz zurück und bekommt im HVS auch sehr schnell wieder seine Position als Zuchtwart. Er unterzeichnet selbst den Wurfmeldeschein des C-Wurfes der Züchterin Frl. Marta Meyer vom 20.03.1932 mit Wurfstärke 5/1 (Abb. 14 [Quelle: Hovawart-Verein für Deutsche Schutzhunde Thale e.V.]). Die Hunde heißen zu dem Zeitpunkt Cody Meyer, Cito Meyer usw. Nun hat Frl. Meyer ihre Hündin Cenzi Brüser 138/26 offenbar zur Aufzucht dieses Wurfes an Alwin Busch übergeben. Ins Zuchtbuch wurde dann als Züchter eingetragen "Meyer (Neuß) - Busch (Thale)", so dass fortan alle Hunde des Wurfes den Doppelnamen "Meyer-Busch" trugen. Und genau in diesem Wurf fiel ein Hund, der fortan die gesamte Hovawart-Zucht prägen sollte: Castor Meyer-Busch 230/32!

Wodurch hat sich Castor Meyer-Busch derartig ausgezeichnet und von den bisherigen Zuchttieren abgehoben? Der Blick auf seinen Körschein verrät es (Abb. 15 [Quelle: Hovawart-Verein für Deutsche Schutzhunde Thale e.V.]): In sämtlichen Kategorien konnte Castor Meyer-Busch ausschließlich Einträge mit der Bewertung "v" (vorzüglich) bis "sg" (sehr gut) aufweisen! Er war damit DER Prototyp des Hovawarts überhaupt. Er verkörperte wie kein anderer Hund das erfolgreichste "Produkt" der Hovawart-Herauszüchtung. Er war gleichbedeutend mit der Erreichung des Zuchtziels, das König und seine Mitstreiter sich gesetzt hatten. Und Castor Meyer-Busch bestätigte diese Leistungen immer wieder und wurde mehrfach Körsieger. Diese Beständigkeit und Konstanz in den gewünschten Eigenschaften war mit Sicherheit ausschlaggebend dafür, dass Castor Meyer-Busch in den folgenden Jahren bis 1941 systematisch mit 30 Verpaarungen und 166 eigenen Nachkommen in jede Blutlinie eingekreuzt wurde, die zur Weiterzucht Verwendung fand. Heute lässt sich jede existierende Hovawart-Blutlinie auf Castor Meyer-Busch zurückführen.

In der bisherigen Literatur zur Hovawart-Zuchtgeschichte wird stets noch eine afrikanische (Wild-) Hündin namens "Tessa" erwähnt, die in der Kriegszeit eingekreuzt worden sei. Dies kann anhand des Studiums des Hovawart-Zuchtbuchs 1922-1950 widerlegt werden. Die einzige dort aufgenommene Hündin aus Afrika ist die schwarze Hündin „Freya“ des Züchters Fangda Fazelo, Angola, Westafrika, mit Wurftag 27.10.1939, die mit dem Vermerk „Eltern unbekannt“ und „(Rückschlag)“ als Nr. 721/39 ins Zuchtbuch eingetragen wurde. Mit ihr wurde jedoch nie gezüchtet. Es gibt keinerlei Wurfeinträge mit "Freya" als Mutter.

Eine Hündin namens "Tessa", mit der auch weiter gezüchtet wurde, findet sich tatsächlich im o.g. Zuchtbuch. Jedoch kommt Tessa 763/40 nicht aus Afrika. Über die Eltern von Tessa ist vermerkt „Original gelbe Bauernhunde aus Westeuropa“ und ihre Farbe wird mit „blond“ angegeben. Castor Meyer-Busch war höchstpersönlich Vater des Tessa-Wurfes vom 12.03.1941, dessen Nachkommen noch in der heutigen Hovawart-Population zu finden sind.

Die genetischen Anteile der verschiedenen Ausgangshunde der Hovawart-Zucht lassen sich nun neu berechnen. Die genauen Anteile variieren in den verschiedenen Linien nach Castor Meyer-Busch. Im Mittel über alle Linien nach Castor Meyer-Busch ergeben sich die Anteile Typhund 65%, Schäferhund 20% und Neufundländer 15%. Im Wesentlichen sind es also die zuletzt genannten genetischen Anteile, mit denen wir es nach 100 Jahren heute immer noch zu tun haben (Abb. 16).

Es gab später immer wieder Gerüchte um eingekreuzte Leonberger und/oder Neufundländer. Und bei genauer Recherche lassen sich dazu tatsächlich auch Daten und Dokumente finden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit, als durch die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen keine Möglichkeit bestand, die Zucht durch optimal geeignete und gleichzeitig bzgl. Verkehrsmitteln erreichbare Deckrüden aufrecht zu erhalten, hat das Ehepaar Ursula und Heinz Müller aus Quedlinburg am Harz im Jahr 1946 einen Leonberger-Rüden mit einer Hovawart-Hündin verpaart. Dies hat in der Folge unter den Hovawart-Züchtern in der sowjetisch besetzten Zone und der späteren DDR zu heftigen Vorwürfen geführt. Die DDR-Züchter haben schließlich beschlossen, alle Nachkommen aus dieser Verpaarung aus den Zuchtbüchern zu streichen und eine Weiterzucht mit Nachkommen aus dieser Verpaarung wurde unterbunden (Abb. 17).

Die Vereine, die in den Jahren 1948 bis 1988 außerhalb des VDH den Hovawart weiter züchteten, schlossen sich z.T. zu größeren Verbänden zusammen. Im Internationalen Hovawart-Verband (IHV) wurde am 29.12.1969 der K-Wurf von Gila eingetragen. Vater: Troll vom Winklerhaus (Neufundländer/Hovawart), Mutter: Inka von Bechtoldsheim (Leonberger)! Dieses Vorgehen der damaligen Zuchtleiterin Gisela Kroll hat zu einer tiefen Spaltung des IHV geführt. Dieser Wurf mit allen Nachkommen wurde zwar später überall mit einem "R" (für "Register") vor der Zuchtbuchnummer gekennzeichnet, aber diese ganze Dokumentation wurde in dem Moment ignoriert, als die IHV-Nachfolgeorganisation - die Hovawart-Zuchtgemeinschaft Deutschland e.V. (HZD) - die Mitgliedschaft im VDH beantragte und Zuchthunde der Vorgängerorganisation einfach durch Sichtung zu VDH-Hovawarten anerkannt wurden. Auf diese Weise ist das Leonberger- und Neufundländer-Erbgut aus dem Jahr 1969 in die heutige VDH-Zuchtpopulation hineingetragen worden, über Hunde wie z.B. Ajo vom Elfengrund, Carat von Schröder-Torsholt, Dela vom Hohenberg oder Ares vom Bischofsreuth. Seit 1969 - ca. 11 Generationen später - heute nun ziemlich verdünnt, aber in allen deutschsprachigen Vereinen in mehreren Blutlinien vorhanden und daher weit verbreitet.

Als Konsequenz der neuen Erkenntnisse zur Zuchtgeschichte des Hovawarts ist nun beim Unterpunkt "Kurzer geschichtlicher Abriss" des FCI Standards Nr. 190 des Hovawarts eine Änderung erforderlich. Hier steht bisher: "Außerdem wurden Einkreuzungen von Deutschen Schäferhunden, Neufundländern, Leonberger und weitere Hunderassen in den ersten Jahren der Zucht vorgenommen." Und dies konnte nachgewiesen werden, dass Leonberger in den ersten Jahren der Zucht nicht verwendet wurde, sowie keine weiteren Rassehunde außer Schäferhunden und Neufundländern.

Dr. Jens Kerl

Allgemeiner Hinweis: Die mit Namen versehenen Artikel geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder, welche sich nicht unbedingt mit derjenigen des Vorstandes resp. des SHC deckt.  

Kontakt: info@hovawart.ch

© 2023 Schweizerischer Hovawart Club (SHC)